Zur Jahresmitte zeigt sich, dass die Einsicht der Notenbanken in die Notwendigkeit eines Politikwechsels völlig richtig war. Die Kerninflationsraten in den USA und der Eurozone liegen sowohl auf 1-Jahres- als auch auf 3-Monats-Horizont deutlich über den Inflationszielen und verharren hartnäckig auf diesem überhöhten Niveau. Die bisher eingepreisten Zinsanhebungen reichen auf diesem Niveau nicht aus, um auf kurz- bis mittelfristigen Horizonten positive erwartete Realzinsen zu erreichen und damit das Konsum- und Investitionswachstum spürbar zu verlangsamen. „Weitere Zinsschritte werden eingepreist müssen, um die Inflationsziele der Notenbanken mittelfristig erreichen zu können“, prognostiziert Dr. Thomas Steinberger, CIO und Geschäftsführer von IQAM Invest. Weitere Anstiege der Energiepreise, etwa durch eine weitere Drosselung der Erdgaslieferungen Russlands nach Europa, würden einen Rückgang der Inflationsdynamik verhindern und die weiter steigenden Zinssätze die negative Dynamik an den Renten- und Aktienmärkten in diesem Jahr verstärken.
Eine wesentliche Frage in der aktuellen Situation, die auch unter Experten stark umstritten ist, befasst sich mit der Dauerhaftigkeit des aktuellen Inflationsanstiegs. „Der Kern der Debatte ist, neben der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Energiepreisanstiege, das Ausmaß der Zweitrundeneffekte im Bereich der Löhne und der inflationsindexierten Preise, die durch die aktuelle Inflationsdynamik in den kommenden Quartalen ausgelöst werden“, sagt Steinberger.
Gefahr für Finanzmärkte?
Viele Experten schließen nicht aus, dass die zuvor sehr zögerliche Reaktion der Notenbanken in Verbindung mit der jetzt kommunizierten abrupten Straffung der Geldpolitik einen exzessiven Liquiditätsschock darstellt, der letztlich eine Rezession in den USA auslöst und zu sehr schwachem globalem Wachstum in den kommenden sechs Monaten führt. Zuletzt wurde eine solche Entwicklung auch recht stark an den Märkten eingepreist. „Ein exzessiver Fokus auf Inflationsbekämpfung durch die Geldpolitik läuft Gefahr Instabilitäten auf den Finanzmärkten zu erzeugen, weil Refinanzierungsprobleme in verschiedenen Sektoren entstehen“, so Steinberger weiter. Exponiert sind vor allem schwächere Schuldner wie von Liquiditätsproblemen erfasste Unternehmen und Staaten, fremdkapitalintensive Branchen wie Immobilien oder Banken bzw. jüngere, stark wachstumsorientierte Sektoren wie der Technologiesektor.
Abbau geopolitischer Spannungen in Sicht?
Positive Impulse für die Finanzmärkte sollten, abgesehen von einem weitgehenden Ausbleiben von Zweitrundeneffekten des aktuellen Inflationsschocks, vor allem aus einem überraschenden Abbau der geopolitischen Spannungen kommen. Eine Deeskalation in der Ukraine – also im Konflikt Russlands mit der Ukraine, dessen Armee von einer Koalition von NATO-Staaten militärisch bedeutsam unterstützt wird, würde zu einer Normalisierung der Energiepreise und einem Abbau von Problemen in den globalen Lieferketten führen. Der globale Handel würde beschleunigt und eine Annäherung auch zwischen China und den USA das Potenzial für eine deutlich positivere zweite Jahreshälfte auf den Aktien- und Rentenmärkten bergen. Das Inflationsproblem im Westen würde zumindest in Bezug auf die Gesamtinflation gemildert werden und über das Wirken von Basiseffekten können sich auch die Kerninflationsraten den Inflationszielen der Notenbanken wieder annähern.
Auswirkungen auf die Asset Allocation im zweiten Halbjahr 2022
„Gegenüber der langfristigen Durchschnittsallokation werden für den weiteren Verlauf des Jahres Euro-Staatsanleihen mit 53 % etwas übergewichtet“, sagt Steinberger. Unternehmensanleihen sind im strategischen Portfolio nur mit geringem Gewicht vertreten – die Investment Grade-Anleihen werden mit 2 % allokiert, während die High Yield-Anleihen nicht ausreichend attraktiv erscheinen. Nicht in Euro denominierte Staatsanleihen aus Industrieländern werden mit 4 % Gewicht im Vergleich zur langfristigen Allokation neutral gewichtet, während die Emerging Markets-Staatsanleihen in Lokalwährung leicht untergewichtet bleiben.
Aktien und Rohstoffe werden im zweiten Halbjahr 2022 gleichzeitig etwas untergewichtet, wodurch sich insgesamt eine relativ defensive Allokation ergibt. Gegenüber einer strategischen Allokation von 30 % bedeutet das Gewicht von 28 % allerdings nur eine moderate Untergewichtung. Das Aktienexposure fällt zum Großteil auf die USA mit 11 %, dicht gefolgt von europäischen Aktien mit 10 % Gewicht. Die Quote für Emerging Markets und den pazifischen Raum bleibt mit 6 % bzw. 1 % sehr nahe an der neutralen Gewichtung. Die Rohstoffgewichtung entspricht mit 4 % im strategischen Portfolio einer moderaten Untergewichtung.